Arbeit und Soziales
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Thesenpapier "Alternative Arbeit" anstatt von Harz IV

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Beitrag von Sandra Westernacher Do Okt 10, 2013 5:06 am

Anbei ein Thesenpapier, das vor einiger Zeit basierend auf den Diskussionen und Vorschlägen im offiziellen Arbeitsforum und auf Anregung von Prof. Dr. Irina Smirnova entwickelt wurde. Es soll ein Diskussionsansatz sein, wie man insbesondere Harz IV anders gestalten könnte und wirklich alle Menschen in eine sinnvolle und sinnstiftende Tätigkeit bringt.

(Ich wußte nicht, wie ich es hochladen konnte, weshalb ich es jetzt einfach so einfüge. Ich hoffe, das beeinträchtigt die Lesbarkeit nicht. Wenn mir jemand sagt wie, lade ich es gerne in anderer, druckbarer Form nochmal hoch)


Ausgangsthese:

Es in Deutschland ausreichend Arbeitsplätze insbesondere für gut ausgebildete Facharbeiter, aber nicht genügend Menschen, die die Qualifikation haben oder erwerben könnten um diese auch adäquat zu besetzen. Gleichzeitig fehlen zunehmend bezahlbare Arbeitsplätze im 1. Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte, wenn man weiteres Lohndumping verhindern möchte.
Die Kinderförderung hilft nur bedingt, dieses (auch dem demografischen Wandel geschuldete) Problem zu lösen. Einerseits reicht auch das Kinder- und Erziehungsgeld bei zwei erwerbstätigen Elternteilen nicht aus, um das Ausscheiden eines Erziehenden für zwei Jahr aus dem Berufsleben zu finanzieren oder eine Geringverdienerfamilie finanziell abzusichern, andererseits schaffen die derzeitigen gesetzlichen Regelungen vor allem bei denjenigen Familien Anreize, möglichst viele Kinder zu bekommen, die schon vorher von der Fürsorge des Staates abhängig waren.

Untersuchungen haben gezeigt, daß das Kindergeld nicht sicherstellt, daß die Leistungen, die für Kinder gezahlt werden, auch tatsächlich bei den Kinder ankommen.

Aus diesen Gründen schlagen wir eine Änderung bei der staatlichen Kinderförderung vor: Das Kindergeld wird abgeschafft und durch ein Familiensplitting ersetzt, von dem in erster Linie jene profitieren, die ein Einkommen haben und aufgrund ihrer Mehraufwendungen entlastet werden sollten. Gleichzeitig sollen möglichst viele kinderbezogene Leistungen Direktleistungen sein, z.B. kostenloses Schulessen, Schulbücher, öffentlicher Nahverkehr, Nachschulbetreuung, Nachhilfe, Sportangebote und Freizeitangebote etc, so daß diese allen Kindern zugute kommen.

Ferner muß es Ziel sein, jeden Menschen so gut wie möglich im Rahmen seiner Möglichkeiten auszubilden, um seine Chance im 1. Arbeitsmarkt zu verbessern. Ein Seminar „Wie bewerbe ich mich richtig“ hilft nur bedingt, wenn es an der deutschen Sprache allgemein oder an der Rechtschreibung im Besonderen hapert. Der (auch nachträgliche) Erwerb eines Schulabschlusses ist  deshalb oberste Priorität.  

Weiterhin sollte jeder in Deutschland lebende Erwerbsfähige ein Recht auf Arbeit haben und einen Lohn, mit der er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Da der 1. Arbeitsmarkt dies in manchen Bereichen nicht leisten kann, gilt es, einen 2. staatlichen Arbeitsmarkt zu schaffen.

Das Konzept „Alternative Arbeit“
Deutschland hat sich seit jeher als „Solidargesellschaft“ verstanden. Eine solche definiert sich dadurch, daß jeder von dem, was er erübrigen kann, etwas in die Gemeinschaft einbringt. In der Regel geschieht dies bei Menschen, die ein Einkommen haben, über die Steuern. Menschen ohne Einkommen habe aber auch etwas, das sie erübrigen und einbringen könnten: nämlich Zeit.

Wir gehen davon aus

a) daß es genügend Arbeit gibt in Deutschland, aber nicht genügend BEZAHLBARE Arbeitsplätze
b) daß es unter Arbeitslosen einen großen Hauptteil gibt, der arbeiten kann und arbeiten will, aber nicht die notwendige berufliche, sprachliche oder allgemeine Qualifikation mitbringt, um im 1. Arbeitsmarkt erfolgreich eine Tätigkeit zu finden
c) daß es unter den Arbeitslosen einige, wenige Menschen gibt, die nicht arbeiten wollen und auch nicht bereit sind, etwas an ihrer Situation zu verändern (Stichwort „soziale Hängematte“)

Um diese Menschen in eine sinnvolle Beschäftigung zu bringen, ihnen einen geregelten Tagesablauf zu geben und ihnen zu ermöglichen, sich in die Gesellschaft einzubringen, soll allen in Deutschland lebenden arbeitssuchenden Erwerbs­losen, die keine Leistungen aus ALG I beziehen, ein individuelles Angebot unterbreitet werden, sich entweder
1) im Rahmen von zu schaffenden Tutorien weiter/fortzubilden mit dem Ziel, sich wieder in den 1. Arbeitsmarkt einzugliedern oder
2) eine gemeinnützige Tätigkeit aufzunehmen.

Diese Angebote sollen gelten für alle Menschen, die in Deutschland legal leben und die vollkommen auf Sozialleistungen angewiesen sind. Ebenfalls einbezogen sind Asylbewerber und alle Ausländer, die noch kein Bleiberecht bzw. Arbeits­recht haben.
Nicht erwerbstätige Personen, die Kinder jünger als 2 Jahre erziehen oder einen Angehörigen pflegen, werden hierbei betrachtet, als gingen sie bereits einer gemeinnützigen Tätigkeit nach. Das so bezogene „Entgelt für Alternative Arbeit“ ersetzt damit das jetzige Erziehungsgeld und wird als vom bisherigen Einkommen unabhängiger Pauschalsatz gezahlt, allerdings über die Dauer von 2 Jahren.
(Personen, die als erwerbsunfähig eingestuft sind, fallen nicht unter das neue System. Für sie gilt wie bisher die alte Regelung.)

Sowohl gemeinnützig Tätige als auch sich Bildende (- ab hier als „alternativ Tätige/Arbeitende“ bezeichnet) erhalten für ihre Tätigkeit einen Lohn, der nach einem dreistufigen Modell basierend auf den jetzigen Harz IV Sätzen berechnet werden könnte und zwischen 850-1100 Euro liegen könnte:

Stufe 1: Basissatz für einfache, keine Qualifikation erforderlichen Tätigkeiten oder befriedigendem Arbeitsengagement

Stufe 2: Regelsatz für eine gewisse Qualifikation erforderliche Tätigkeit, der mit guten Einsatz nachgegangen wird

Stufe 3: Höchstsatz für höhere Qualifikation erforderliche Tätigkeiten, denen mit herausragendem Engagement nachgekommen wird.

Für alle alternativ Tätigen werden Beiträge für Rentenversicherung und Krankenversicherung gezahlt – allerdings nicht in die Arbeitslosenversicherung.

Über die tägliche Einsatzzeit sowie die Art der Tätigkeit ist unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der bisherigen Qualifikation und der persönlichen Fähigkeiten gemeinsam mit dem alternativ Tätigen zu entscheiden. Hierbei gilt es, möglichst die vorhandenen Qualifikationen, Begabungen und Neigungen des alternativ Tätigen zu nutzen. Idealerweise kommt die Anregung, welche Tätigkeit er ausüben möchte, bzw. welche Bildungsnahme für ihn sinnvoll wäre, vom alternativ Tätigen selbst.

Als Regelarbeitszeit für einen alternativ Tätigen, der keine Einschränkungen hat (beispielsweise durch ältere Kinder) gilt eine Dauer von 8 Stunden, dabei gelten die gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz (Urlaub, Wochenenden, Pausen etc.)

Die Tätigkeit ist unbefristet bis zum Rentenalter. Jeder Teilnehmer hat jedoch jederzeit das Recht, aus eigenem Antrieb in den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln, sofern er dies anstrebt. Umgekehrt gibt es hierzu keinerlei Verpflichtung oder sanktionierende Maßnahmen, die diese Wiedereingliederung erzwingen.

Bildungsangebote
Eine unter 1 fallende Bildungsmaßnahme könnte sein:

a) der Erwerb eines Schulabschlusses
b) ein Sprachtutorium zum Erlernen der Deutschen Sprache oder zur besseren Rechtschreibung
c) ein Tutorium zur politischen Bildung (insbesondere, um Menschen mit Migrationshintergrund mit dem deutschen Staatssystem vertraut zu machen
d) eine berufliche Umschulung
e) eine qualifizierende Weiterbildung
f) ein anderes, individuelles Bildungsangebot, das geeignet ist, die Situation des Leistungsbeziehers langfristig zu verbessern (wie z.B. Erziehungsseminare für junge Mütter, richtiges Wirtschaften mit Geld, etc. )

Sämtliche bisherigen Maßnahmen wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung, Fremdförderung, Bürgerarbeit und Arbeitsgelegenheiten, die sich bisher an ALG I anschlossen, werden eingestellt. Es gibt keinerlei Verpflichtung für alternativ Arbeitende, sich um eine Stelle im 1. Arbeitsmarkt aktiv zu bemühen. Sollten sie das von sich aus wünschen, erhalten sie aber entsprechende Unterstützung. Das entschlackt die Verwaltung von Arbeitslosigkeit und spart Kosten.

Gemeinnützige Tätigkeiten

Gemeinnützige Tätigkeiten finden sich in öffentlichen Einrichtungen wie Altenheimen, Kindertagesstätten, Schulen und Krankenhäusern möglich, aber auch im sonstigen kommunalen Bereich. Als Orientierung dienen die in vielen Kommunen von Freiwilligen-Agenturen ausgewiesenen Tätigkeiten. Zur Verdrängung von privatwirtschaftlichen Tätigkeiten wird es dabei im öffentlichen Sektor zwangsläufig kommen. Es wäre nicht einzusehen, warum eine Kommune einen privaten Gärtner bezahlen muß, um die Grünanlagen zu pflegen, wenn sie selbst eine Anzahl von Menschen unterhalten muß, die diese Tätigkeit genausogut ausführen könnten. Allerdings dürfen die allgemeinnützig Tätigen ausschließlich im öffentlichen Sektor zum Einsatz kommen. 1-Euro-Jobs, also staatlich subventionierte Arbeit im privaten Sektor, darf es nicht mehr geben.

Zu den gennannten alternativen Tätigkeiten könnten gehören

in Schulen:

Aushilfen in Schulküchen / Cafeterien
Hausaufgabenbetreuung / Nachhilfe / Nachmittagsbetreung von Schülern (Bastel- u. Sportangebote betreuen)
Anwesenheit zur Unterstützung des Lehrers im Unterricht (Aufsicht, Fragen beantworten etc.)
in der Schulbücherei
Aufsicht bei Klassenausflügen und sonstigen Schulveranstaltungen

(alle genannten Tätigkeiten werden heute bereits häufig von Eltern ausgeführt, die aufgrund ihrer eigenen beruflichen Tätigkeit aber immer schwerer zu finden sind. Die Schulen werben oft intensiv um Helfer für diese Bereiche.)

in Altenheimen / Krankenhäusern / Kitas:

allgemeine Hilfstätigkeiten, die das Hautpersonal entlasten (Betten machen, Essen zubereiten / austragen, einfache Putzdienste, Hilfe beim Anziehen / Wickeln von Kleinkindern in Kitas, etc)
soziale Tätigkeiten, um Patienten / Senioren / Kinder zu unterstützen und beschäftigen (Spiele, Spaziergänge etc. - alles, wozu dem Pflegepersonal oft die Zeit fehlt.

(Hierbei besteht eventuell die Gefahr, daß Träger auf die Idee kommen könnten, fachlich qualifizierte Pflegekräfte durch alternativ Tätige zu ersetzen. Fall sich hier solche Entwicklungen beobachten lassen, muß entsprechend gegengesteuert werden – z. b. durch die Festlegung eines Schlüssels wie z.B.  „ maximal 1 alternativ Tätiger pro 3 Pfleger“ o.Ä.)

in den Kommunen

Um den Menschen ein stärkeres Sicherheitsgefühl zu geben, Vandalismus, Diebstahl und Gewaltdelikten vorzubeugen und generell für ein angenehmeres Wohnklima in den Städten zu sorgen, könnten gemeinnützige Tätigkeiten auch
Hilfs-, Sicherheit- und Aufsichtdienste umfassen, z.B.

in „Problemvierteln“ (siehe Detaillierung anbei)
im kommunalen Nahverkehr (Busse und Bahnen)
an Bahnhöfen (Hilfe bei Treppensteigen, mit Koffern und Kinderwägen, Auskunftsdienste etc.)
in Schulen / Universitäten (Fahrradständerüberwachung, Schulhofesaufsicht)
in Jugendzentren und Vereinen (Trainersassistenz)
auf öffentlichen Parks und Wegen („Hundekot“, zugemüllte Ruheplätze, Spielplätze etc.)

Diese „zivilen Hilfskräfte“ sollen dabei vor allem auf Probleme aufmerksam machen und Hilfe holen, falls nötig (also nicht selbst den Randalierer aufhalten, sondern über Handy die Sicherheitskräfte/Polizei verständigen), in gefahrlosen Situationen (Stichwort „Hundehalter“) das Gespräch suchen und ansonsten helfend mit anpacken, wo immer einem Problem Abhilfe geschaffen werden kann.

bei der Organisation der gemeinnützigen Tätigkeiten

Idealerweise liegt die Vermittlung, Verwaltung und Kontrolle der gemeinnützigen Arbeiten sowie der angebotenen Tutorien ebenfalls in den Händen von gemeinnützig Tätigen – unterstützt von den ARGEN und evtl. von ehrenamtlichen Freiwilligen. Das Ziel ist, die Kosten für die Verwaltung von Arbeitslosigkeit massiv zu senken.

Um ein größeres Angebot an Sachleistung bieten zu können, sollten Einrichtungen wie die städtischen Tafeln ausgebaut und ebenfalls in das Konzept „Alternative Arbeit“ eingebunden werden. Denkbar wären beispielsweise kommunale Second-Hand Kleiderbörsen (am besten in Abstimmung mit Hilfsorganisationen) oder Second-Hand Möbelbörsen.

Verweigerer

Wer die vorgeschlagenen Tätigkeitsangebote ablehnt erhält nur eine staatliche Grundleistung, die sein Überleben sichert. Im wesentlichen sollten das reine Sachleistungen sein: eine einfache Unterbringung, Lebensmittelgutscheine, Bezugsscheine für Second-Hand-Möbel etc.

Auch die Niederlassungsfreiheit wird aufgehoben.

Wer einer gemeinnützigen Tätigkeit oder einer Bildungsmaßnahme dauerhaft mit schlechtem Engagement nachkommt, verliert diese Arbeit und gilt ebenfalls als Verweigerer.

Gegebenenfalls können auch weitere Sanktionsmaßnahmen greifen. Allerdings hat auch jeder Verweigerer jederzeit das Recht seine Haltung aufzugeben und eines der vorgeschlagenen Angebot (wieder) aufzunehmen.

Ziel des Konzepts:

Das bestehende Sozialkonzept weist eine Reihe von Problemen auf: Die Verwaltungskosten sind hoch, die Arbeit der Behörde oft ineffektiv. Betroffene fühlen sich gegängelt, nicht unterstützt, was das Ziel sein sollte. Gleichzeitig gibt es große Ungerechtigkeiten durch die Gleichbehandlung von Willigen und Fähigen und jenen, die sich verweigern.
Das führt zu immensen Vorurteilen gegenüber Hartz IV Beziehern insgesamt. Sie werden zu Almosenempfängern degradiert, obwohl es genug Arbeit gibt, mit der sie sich sinnvoll in die Gesellschaft einbringen könnten. Studien zeigen, daß Beschäftigung für den Menschen mehr ist, als eine Sicherung seines Einkommens. Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, gebraucht zu werden, und sein Geld zu verdienen anstatt zu bekommen, der geregelte Tagesablauf – das alles baut das Selbstwertgefühl auf und durchbricht Lethargie, Hoffnungslosigkeit und das Gefühl, ganz unten zu sein.

Gleichzeitig profitiert die Gesellschaft enorm durch diese Tätigkeiten, an denen wirklich ein Bedarf besteht. Das alltägliche Leben wird besser für viele, in vielen Bereichen werden reale Kosten und Folgekosten sinken. (Wenn beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr eine größeres Sicherheitsgefühl besteht und ältere Menschen wissen, daß ihnen am Bahnhof wird, werden wieder mehr Menschen Bahn fahren.  Wenn ältere Menschen zuhause mehr Hilfe bekommen, können sie länger allein leben, wenn sie in Heimen mehr persönliche Zuwendung erfahren, sinken die Kosten für Medikamente.)

So wie Menschen im freiwilligen sozialen Jahr oft für sich entdecken, wo ihre Stärken liegen, oder daß Ihnen der Umgang mit Menschen Spaß macht, so könnten auch diese Tätigkeiten dazu führen, daß ein Arbeitsloser ein völlig neues Tätigkeitsfeld für sich entdeckt, an das er zuvor nie gedacht hat.

Wir glauben, daß vom Konzept der alternativen Tätigkeit alle profitieren – die Gesellschaft als Nutznießer und Finanzierer der Tätigkeiten, die alternativ Tätigen dadurch, daß sie Unabhängkeit, Selbstwertgefühl und Würde zurückerlangen.

Sandra Westernacher

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Beitrag von bj Sa Okt 12, 2013 6:30 am

Ein paar Fragen zu diesem Thesenpapier:

Warum ist man in Deutschland nicht bereit für Dienstleistungen zu bezahlen wenn doch angeblich Bedarf dafür besteht?

Warum sollen die Kosten für diese Dienstleistungen aus Steuermitteln finanziert und als "alternative Arbeit" gekennzeichnet sein,
obwohl diese Arbeit / Dienstleistung ebenso als normaler Arbeitsplatz zu ortsüblichen oder Tariflöhnen eingerichtet werden könnte?

Sind ehrenamtliche Mitarbeiter dann plötzlich Sozialleistungsempfänger oder soll das Ehrenamt abgeschafft werden?

Könnte man aufgrund klammer Kassen angestellte Ärzte in städtischen / kommunalen Krankenhäuser z.B. auch entlassen und diese Dienstleistung als "alternative Arbeit" (da gemeinnützig) zum Sozialleistungssatz fordern.


Begriff "Würde":
Besitzt jemand nur "Würde" wenn er arbeitet?
Hat ein nicht arbeitender drogensüchtiger Millionärssohn mehr "Würde" als ein arbeitsloser Schlosser?

Hat eine verheirateten Mutter, die sich von ihrem Mann aushalten lässt um Kinder zu erziehen mehr "Würde" als eine alleinerziehende Mutter die staatliche Mittel erhält?
Erhält die Alleinerziehende wirklich erst "Würde durch Arbeit"?

IMHO verliert jemand seine Würde, wenn er um Almosen betteln muss. In Deutschland, und anderen Ländern, sind Sozialleistungen aber ein Recht und kein Almosen, auch wenn es viele gerne anders sehen. Daher sollte man die Begriffe "Würde" und "Arbeit" nicht miteinander verbinden - sonst sind wir wieder sehr schnell bei dem berühmten Spruch über dem Eingang einer heutigen Gedenkstätte.

bj

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Beitrag von Sandra Westernacher Sa Okt 12, 2013 7:40 am

Hallo bj!

Das waren jetzt sehr viele Punkte. Ich versuche mal, der Reihe nach darauf zu antworten.

Zunächst: Natürlich ist Würde nicht gebunden an Arbeit. Aber ein Leben ohne Arbeit, ohne sinngebende Beschäftigung wird eben von vielen Betroffenen als würdelos empfunden - insbesondere dann, wenn sie von der Umwelt auch so behandelt werden. Auch wenn unsere Gesetze ein RECHT auf Unterstützung gewährleisten - so wird es doch in weiten Kreisen anders gesehen. Die Begriffe, die da benutzt werden, möchte ich hier lieber wiederholen - ich teile die Ansicht auch nicht.

Ich glaube aber an den Kernsatz, der in dem Papier vorkam: in einer solidarischen Gesellschaft müssen ALLE etwas beitragen zum Wohle ALLER. Jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten, jeder das, was er entbehren kann. Der ein hat Geld, der andere hat Zeit. Jeder hat irgendwelche Fähigkeiten. Leider reichen die Fähigkeiten mancher eben nicht für eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt. Und es ist unmöglich, bestimmte Dienstleistungen zu bezahlen. Die Kosten für die Altenpflege sind jetzt schon schwer zu finanzieren. Wie soll der Staat es dann leisten, Gesellschafter einzustellen, die eigentlich nicht zu können brauche - nur da sein und ein wenig Zeit zu schenken.

Sie haben Recht, viele Menschen tun das heute bereits ehrenamtlich, und das ist sehr, sehr anerkennenswert. Es werden aber auch immer noch Menschen gesucht - da reicht ein Blick in die Aushänge am Rathaus. Und nicht jeder Beschäftigte hat die Zeit, nebenbei noch einem Ehrenamt nachzugehen. Selbstverständlich sind bei diesem Konzept Ehrenamtliche keine Sozialhilfeempfänger. Alle, die sich einbringen sind - wie es der Name sagt -gemeinnützig Tätige.

Die Frage nach den Ärzten beantwortet sich von selbst. Ein arbeitsloser Gärtner, Schlosser oder jemand ohne Ausbildung kann keinen Arzt ersetzen. Nichtmal einen qualifizierten Pfleger. Es geht nur um HILFELEISTUNGEN, die unqualifizierte Kräfte erbringen können. Sollten sich in bestimmten Bereichen hier Problem auftun (was ich z.B. im Altenpflegebereich nicht völlig ausschließen würde, wo man gemeinützig Tätige vielleicht leichter "mißbrauchen" kann, um Pflegeaufgaben zu verlagern), muß man gegensteuern - wie z.B. durch eine Vorgabe, die die Anzahl der eingesetzten alternativ Tätigen an die Anzahl der Pfleger koppelt (je mehr Pfleger, desto mehr alternativ Tätige).

Ich habe selbst drei Kinder und vollste Hochachtung für alleinerziehende Mütter. Daß ich mich von meinem Mann "aushalten" ließe, nehme ich jetzt mal als eine übersteigerte, nicht so gemeinte Formulierung und nicht als beabsichtigte Beleidigung. Jeder, der Kinder erzieht, leistet einen Beitrag für die Gesellschaft. Alleinerziehende Mütter könnten aber, während ihre zwei oder dreijährigen Kinder im Kindergarten sind, durchaus auch alternativ tätig werden oder sich weiterbilden (und sei es nur im Punkte Kindererziehung, Haushalten, gesunde Ernährung....)

Noch ein Nachtrag zum Thema Würde: Es gibt, glaube ich, niemanden, der behaupten würde, daß Harz IV ein würdevoller Umgang mit Arbeitslosen ist. Einenen Ein-Euro-Jobber etwa an einer privaten Tankstelle einzusetzen ist nicht nur eine ungerechte Subventionierung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten (blöd für den Tankwart, der niemanden zum Scheibenputzen da hat) sondern auch ziemlich entwürdigend. Eine Arbeit kann unmöglich einen Stundenlohn von nur einem Euro wert sein.



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Beitrag von bj Mo Okt 14, 2013 7:20 am

Selbstverständlich ist die "ausgehaltene Hausfrau" nur eine überspitzte, provokante Aussage und soll keine Beleidigung darstellen.

Es sollte nur noch einmal deutlich machen, dass nahezu jeder nur ein Jahr von ALG II entfernt ist.

Aufgrund diverser unglücklicher Umstände könnte es auch der kindererziehenden "ausgehaltenen" Hausfrau passieren, sich plötzlich in der Lage der Alleinerziehenden wiederzufinden und dann mit Ihren Vorschlägen der Weiterbildung (Kindererziehung, Haushalten, gesunde Ernährung ....) konfrontiert zu werden.

80% der ALG II Bezieher haben eine oder mehrere Ausbildungen. Der Fokus richtet sich IMHO zu sehr auf die nicht ausgebildeten mit denen alle anderen in einen Topf geworfen werden.

Der erste Arbeitsmarkt bietet aber leider auch für Mehrheit keine adäquaten Arbeitsplätze.

bj

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Beitrag von Sandra Westernacher Mo Okt 14, 2013 8:19 am

Hallo BJ,

Der entscheidene Punkt ist, daß wir auf gar keinen Fall irgendwelche Bildungsmaßnahmen nach Gießkanneprinzip wollen -also etwas, was die Leute gar nicht brauchen. So läuft das heute, und das ist unwürdig. Eine Mutter, die jahrlang ohne Probleme mit dem Jugendamt Kinder erzogen hat, braucht selbstverständlich kein Kindererziehungsseminar - sie könnte stattdesssen an einer Schule oder in einer Kinderkrippe aushelfen - dort, wo z. Zt. auch schon ehrenamtliche Helfer eingesetzt werden. Bei Erziehungshilfe dachten wir z.B. an junge, teils überforderte Teenie-Mütter, die davon wirklich profitieren würden.

Es soll in jedem Fall individuell geschaut werden, was helfen kann, die Situation des Betroffenen gezielt zu verbessern. Falls jemand sich für eine Bildungsmaßnahme entscheidet, sollte sie ihm auch am Ende etwas bringen (der Betroffene soll miteinscheiden, welchen Weg er gehen will: ob alternative Tätigkeit, eine Weiterbildung zur Qualifizierung auf dem ersten Arbeitsmarkt oder vordringlich zur Verbesserung der Lebensumstände (Deutsch lernen im Falle von Ausländern, Haushalten bei Leuten, die mit ihren Finanzen nicht zurecht kommen usw.)

Wer nicht unqualifiziert ist und erfolgreich einem Beruf nachgegangen ist, bevor er arbeitslos wurde, soll so eingesetzt werden, daß er seine Fähigkeiten bestmöglich einbringen kann. Zum Beispiel könnte ein arbeitsloser Ingenier über 50 im Zweifelsfall sehr gut an Schulen gehen und dort Mathenachhilfe geben - oder jene weiterbilden, denen Mathekenntnisse für den 1. Arbeitsmarkt fehlen. Solche Leute sind wahnsinnig wertvoll für das Prinzip der Alternativen Arbeit.

In einen Topf geworfen werden die Menschen zur Zeit: Jene, die durchaus qualifiziert sind, werden zu überflüssigen Bewerbungsseminaren geschickt (Hauptsache, raus aus der Statistik), jene, die wirklich engagiert sind und arbeiten wollen werden über einen Kamm geschert mit Verweigerern. Es geht im Moment, nach allem was man von Hartz IV hört, gar nicht drum, den Menschen zu helfen.

Unser Konzept zielt auf ein Win-Win ab: Die Gesellschaft soll insgesamt profitieren, weil sie Leistungen bekommt, auf die sie ansonsten aus Kostengründen verzichten müßte, die Betroffenen sollen profitieren, weil sie jetzt keine Arbeitslosen mehr sind sondern entweder einer geregelten, sinnvollen Betätigung nachgehen für ein Lohn, den sie verdient haben, oder aber eine gezielte, sinnvolle Weiterbildung erhalten, die ihnen wirklich hilft und förderlich ist.

Sandra Westernacher

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